Energiewunder Passivhaus

»Die energetische Sanierung bietet nicht nur hohe Einsparpotenziale, sondern sichert auch langfristig Arbeitsplätze.«

Fotos: Hanno Keppel

Behaglich wohnen ganz ohne Heizung? Der Mitte der 1980er-Jahre entwickelte Passivhaus-Energiestandard macht’s möglich. Mit einer gut gedämmten Gebäudehülle und kontrollierter Belüftung mit Wärmerückgewinnung bietet das Konzept eine weitgehende Unabhängigkeit von Öl oder Gas. Und es sichert langfristig Arbeitsplätze, wie Dr. Wolfgang Feist vom Passivhaus Institut in Darmstadt erklärt.

AFACE: Nach dem Atomausstieg setzt die Bundesregierung auf neue Konzepte zur Energieeinsparung. Ein richtiger Schritt?

WOLFGANG FEIST: Ja natürlich, es ist wichtig, hier neue Wege zu gehen! Dass der bislang produzierte Atomstrom allerdings zum großen Teil durch Strom aus Kohle ersetzt werden soll, ist angesichts der Debatte um den Klimawandel ziemlich kontraproduktiv. Dabei gibt es durchaus die Möglichkeit, auf beides zu verzichten. Aber diese Erkenntnis scheint bei der Regierung noch nicht angekommen zu sein.

AFACE: Mit dem von Ihnen mitentwickelten Passivhauskonzept setzen Sie stattdessen vor allem auf die Einsparung von Energie. Was genau sind Passivhäuser?

WOLFGANG FEIST: Ein Passivhaus ist ein Gebäude, in dem fast ohne Heizverteilsystem im Winter und ohne Klimaanlage im Sommer eine hohe Behaglichkeit erreicht werden kann. Durch die Nutzung von Sonneneinstrahlung, Erdwärme und Erdkühle sowie der Abwärme der Bewohner und von elektrischen Geräten heizt und kühlt sich das Haus „passiv“ und ermöglicht so einen Primärheizenergiebedarf von unter 15 Kilowattstunden je Quadratmeter Wohnfläche im Jahr. Das entspricht einer Einsparung von rund 90 Prozent verglichen mit einem durchschnittlichen Gebäude.

AFACE: Damit ließe sich unsere Abhängigkeit von Öl oder Gas deutlich verringern.

WOLFGANG FEIST: Ja, in der Tat. Und das kommt nicht nur der Umwelt und unserem Geldbeutel zugute, sondern würde mittel- und langfristig auch viele internationale Konflikte entschärfen, die sich bei näherem Hinsehen ja häufig um das Thema Öl und Energie drehen. Darüber hinaus aber sichert die energetische Sanierung unseres Gebäudebestandes über Jahrzehnte hinweg Arbeitsplätze!

AFACE: Wo sehen Sie hier das größte Potenzial, im Neubaubereich oder im Altbaubereich?

WOLFGANG FEIST: Im Neubaubereich ist der Passivhausstandard ohne Einschränkungen zu empfehlen. Die Mehrinvestitionen von 10.000 bis 20.000 Euro je Haus amortisieren sich dabei in der Regel bereits nach rund zehn Jahren. Gesamtgesellschaftlich betrachtet bietet der Neubau jedoch nur ein vergleichsweise geringes Energieeinsparungspotenzial. Denn den rund 80.000 Neubauten im Jahr stehen letztlich rund 25 Millionen Altbauwohnungen gegenüber!

AFACE: Aber rechnet sich der hohe Aufwand bei der Sanierung überhaupt?

WOLFGANG FEIST: Ja, auf jeden Fall! Allerdings macht es keinen Sinn, diesen Bestand von heute auf morgen komplett umzurüsten. Stattdessen sollte man aber bei jeder anstehenden Teilsanierung grundsätzlich auf nachhaltige Elemente wie dreifach verglaste Fenster oder eine optimierte Fassadendämmung zurückgreifen. Um interessierten Bauherren hier Wege aufzuzeigen, haben wir speziell für den Altbaubereich das EnerPHit-Zertifikat entwickelt, das Parameter für eine langfristige energetische Sanierung mit Passivhauskomponenten vorgibt. Ob dann am Ende ein Wert von 15, 20 oder 25 Kilowattstunden je Quadratmeter Wohnfläche im Jahr dabei rauskommt, ist gar nicht so entscheidend. Viel wichtiger ist es, den Wohnungsbestand in den kommenden Jahrzehnten Schritt für Schritt zukunftstauglich zu machen.

AFACE: Und welche Leistungen bietet das von Ihnen geleitete Passivhaus Institut dazu an?

WOLFGANG FEIST: Wichtige Bestandteile unserer Arbeit sind die unabhängige Beratung, die Zertifizierung, die bauphysikalische Forschung sowie die Optimierung von Produkten. Um dabei zu praxistauglichen Lösungen zu kommen, arbeiten wir in unserem Team bewusst interdisziplinär mit Physikern, Bau- und Maschinenbauingenieuren, Mathematikern und Umwelttechnikern, aber auch mit Tischlern zusammen. Ein wichtiger Grundsatz lautet dabei, dass wir keine Patente beantragen, sondern unsere Erkenntnisse öffentlich publizieren. Vergleichbar mit dem Open-Source-Konzept im Internet soll das Wissen so frei für die Gesellschaft zur Verfügung stehen.

AFACE: Ein guter Gedanke. Aber wie sind Sie selbst auf das Konzept des Passivhauses gestoßen?

WOLFGANG FEIST: Das geht zurück bis auf mein Physikstudium in den 70-er Jahren. Gemeinsam mit anderen haben wir damals nach Alternativen für eine künftige nachhaltige Energieversorgung gesucht. Viele Experten setzten damals auf die Kernfusion, während andere davon ausgingen, den gesamten Energiebedarf mit Solarzellen sicherstellen zu können. Ich hielt beide Wege für unrealistisch.

AFACE: Warum, der Glaube an die Atomenergie war damals vor Tschernobyl doch noch viel größer?

WOLFGANG FEIST: Das stimmt, aber schon damals hielten wir die Probleme der Endlagerung für nicht beherrschbar. Und bei Sonne, Wind und Wasser hatte ich andererseits Zweifel aufgrund der geringen Energiedichte und der starken Schwankungen bei der Verfügbarkeit. Deshalb habe ich gemeinsam mit anderen vor allem auf das Thema Effizienzsteigerung gesetzt. Aus diesen Überlegungen heraus ist dann schließlich das Konzept des Passivhauses entstanden.

AFACE: 1991 wurde dann das bundesweit erste Passivhaus in Deutschland hier in Darmstadt errichtet.

WOLFGANG FEIST: Ja, damals noch in Reihenhausbauweise. 1998 folgte dann das erste freistehende Passivhaus in der Nähe von Pforzheim. Inzwischen werden zunehmend auch ganze Siedlungen in Passivhausbauweise geplant. Bis heute entstanden so bundesweit insgesamt rund 20.000 Passivhäuser. Und durch die langfristig steigenden Energiepreise sind auch für die Zukunft hohe Wachstumsraten zu erwarten.

AFACE: Das klingt gut. Manche Bauherren haben dennoch Bedenken hinsichtlich der beim Passivhaus zwingend notwendigen Lüftung.

WOLFGANG FEIST: Diese Bedenken sind aber völlig unbegründet. Schließlich lässt sich eine Lüftungsanlage letztlich deutlich einfacher bedienen als eine normale Heizungsanlage. In der Regel lassen sich die Zweifel der Bauherren daher durch einen Besuch in einem bestehenden Passivhaus und im Gespräch mit den Bewohnern entkräften. Die existierenden Häuser fungieren so quasi als Botschafter der Passivhaus-Idee.

AFACE: Architekten bemängeln oft, das Passivhaus- Konzept lasse nur starre Bauformen zu.

WOLFGANG FEIST: Auch dieser Einwand hat sich mittlerweile überholt. In den ersten Jahren hat der Zwang zum kompakten Bauen mit möglichst geringer Oberfläche in der Tat zu stereotypen Formen geführt. Aber durch neue technische Entwicklungen und verbesserte Produkte lassen sich inzwischen die unterschiedlichsten Architekturentwürfe als Passivhaus ausführen, da gibt es keine Einschränkungen mehr. Im Gegenteil: Weil durch die Lüftung auch die Kernbereiche des Hauses nutzbar sind, haben Architekten mittlerweile sogar größere Gestaltungsfreiheiten als bei einem konventionell geplanten Gebäude!

AFACE: Und wie sehen Sie die weitere Entwicklung des Passivhauses?

WOLFGANG FEIST: Die steigenden Energiepreise, die fortschreitende Novellierung der EnEV und die damit einhergehenden staatlichen Förderungen bei der Aufnahme von Krediten werden auch künftig hohe Anreize zur Energieeinsparung setzen. Deshalb sind wir hier sehr optimistisch. Darüber hinaus sind wir mittlerweile auch in Korea, China und Japan tätig, um unsere Konzepte auch dort bekannt zu machen. Es bleibt also viel zu tun.

AFACE: Herr Dr. Feist, wir bedanken uns für das Gespräch.